Verzeichnis

 

Mandel Raphael

Beruf(e): Kantor, Schächter
Geburtsdatum: 02.09.1859
Geburtsort: Dauendorf / Elsass
Sterbedatum (Todestag): 29.05.1940
Sterbeort: Karlsruhe
Wohnort(e): Ingenheim

Raphael Mandel, über 50 Jahre pflichtgetreuer Kantor (Chasan), Schochet (Schächter) und Ehrenvorsitzender des MGV Ingenheim, wurde am 2. September 1859 im elsässischen Dauendorf geboren.
Bei seinen Eltern, dem boucher (Metzger) August Mandel und seine Ehefrau Karoline (geb. Levy), beide in Dauendorf ansässig und dort verstorben, ist Raphael in einer guten, jüdischen Tradition groß geworden. Auch wird er im Betrieb des Vaters erste Erfahrungen mit dem ritual vollzogenen Zerlegen und Ausbeinen des Schlachtviehs gesammelt haben, die ihm später den Ausbildungsweg zum Schochet erleichterten. Nach der Schulzeit genoss er eine fundierte Ausbildung zum Kantor.
 
Am 5. Mai 1886 heiratete Raphael Mandel in Ingenheim Sophie Marx, die am 4. Juni 1864 eben da als Tochter der hier wohnhaften Eheleute Ludwig Marx und Sara (geb. Marx ) geboren wurde. Den Eheleuten wurden vier Kinder allesamt in Ingenheim geboren: Corinna am 9. Februar 1887, Ludwig am 7. Januar 1888, Arthur am 28. Juni 1890 und Hedwig Luise am 20. Juli 1894.
Eine der Töchter heiratete den Kaufmann Isak Oskar Kahn, der sich später in Karlsruhe, Gartenstraße 56, niederließ.
 
Von Raphael Mandels Bruder Michael erfahren wir am 28. April 1890 aus der Zeitschrift "Der Israelit", dass jener am 1. April diesen Jahres im Alter von 32 Jahren "zum Bürgermeister der etwa 8.000 Einwohner zählenden Stadt Albuquerque in Neu-Mexiko (Amerika) gewählt" wurde.
 
Nachdem in Ingenheim Kantor Stern nach 45 Jahren treuer und gewissenhafter Leitung der Gemeinde verstorben war und sein Nachfolger Jaffe nach kurzer Zeit so schwer erkrankte, dass er seinen Beruf aufgeben musste, wurde die Stelle eines Kantors und Schächters in Ingenheim am 28. Mai 1833 vom Cultusvorstand Bernhard Roos für die 110 jüdische Familien zählende Gemeinde erneut ausgeschrieben.
 
Angeboten wurde ein Gehalt: baar aus der Cultuskasse M. 700. Aus Schächtergebühren wurden M 800 und als Erlös aus Casualien M 300 veranschlagt. Dafür erwartete der Cultusvorstand einen "gut qualifizierte(n) musikalisch gebildete(n) Bewerber mit angenehmer Stimme".
 
Raphael Mandel konnte mit seiner Bewerbung und Vorstellung den Vorstand überzeugen. So trat er 1883 seine Stelle in Ingenheim an, die er viele Jahrzehnte vorbildlich versah und hohes Ansehen darin bei der gesamten Bevölkerung erwarb.
 
Als Kantor (Chasan) hatte er eine wesentliche Funktion: er leitete den synagogalen Gottesdienst. Hat der Rabbiner die wichtige Aufgabe die Kasualien zu zelebrieren, die Beschneidung zu überwachen und Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden und zu schlichten, so ist doch der Kantor als Vorbeter die liturgisch verantwortliche Person im Gottesdienst.
Vorbeter kann eigentlich jeder sein. Doch die jüdische Liturgie hat es in sich. "Da die Lesungen beim Vortrag mit Melodien unterlegt werden, sind die Melodien im Lauf der Zeit immer komplizierter und zahlreicher geworden, und zwar nicht so sehr die der Toralesungen, sondern vor allem die der verschiedenen liturgischen Gesänge und Gebete. So wird z.B. das "leka Modi" ("Komm, mein Freund der Braut entgegen") des Sabbatanfangs auf verschiedene Weise gesungen, entsprechend dem liturgischen Jahreskalender. Mit der Zeit lag das Traditionsmaterial in solcher Fülle vor, dass man einen Spezialisten brauchte, der all diese Lesungen, Gebete, liturgischen Gesänge in ihrer je eigenen Melodie vortragen und so das Beten und Singen der Gläubigen anführen konnte." (aus Pfälzer Pfarrerblatt Dezember 2001 von Frank-Matthias Hofmann).
So hat sich ein eigenständiger Beruf im Laufe der Zeit entwickelt. Denn: "Die jüdische Tradition stellt hohe Anforderung an Charakter (und an ein ausgeprägtes musikalisches Gedächtnis!) des Vorsängers." (ebenda) Er muss sich im Studium intensiv mit den Traditionen der Lesungen von Thora, Newiim (Propheten) und Chetubim (der Schriften) beschäftigen. Dazu sind sehr gute Hebräischkenntnisse unabdingbar. Und eine "angenehme" Stimme rundet die anspruchsvollen Anforderungen an einen Kantor ab. Diese Voraussetzungen scheint Raphael Mandel sehr gut erfüllt zu haben, wie wir dies aus zahlreichen positiven und lobenden Berichten über ihn entnehmen können.
 
Als Schächter hatte Raphael Mandel eine besonders verantwortliche Aufgabe übernommen. Für diesen Beruf musste er sich einer besonderen Schulung unterziehen. Neben dem Erlernen der handwerklichen Techniken und dem Studium der Anatomie gehörte auch die Kenntnis des Kachrut-Regelwerkes dazu. Auch müssen Schächter in jeder Hinsicht fromme Menschen sein. Denn das Schächten eines Tieres gilt als heilige Angelegenheit. Und so nimmt der Schächter einen äußerst verantwortungsvollen Posten in der Gemeinde ein.
Gleichzeitig hatte der Kantor und Schächter Raphael Mandel die Aufsichtspflicht über die ortsansässigen koscheren Metzger. So liegt ein Schreiben des Rabbiner Dr. Oppermann aus Landau vom 14. September 1893 an den Vorstand der israelitischen Kultusgemeinde Ingenheim vor, eine Antwort des Rabbiners auf die Vorwürfe des hiesigen Kantors und Schochet Raphael Mandel, der sich heftig beklagte, dass beim Verkauf des koscheren Fleisches von den Metzgern in Ingenheim nicht immer ordnungsgemäß verfahren würde.
Der Rabbiner verfügte deshalb:  
Den Anweisungen des Kantors ist strengstens Folge zu leisten.
Zum Zerhacken des koscheren Fleisches muss der Metzger einen besonderen Klotz verwenden und die Waage zum Abwiegen des Fleisches muss in sauberem Zustand gehalten werden.
Fleisch darf nur als koscher verkauft werden, wenn es mit einen Siegel versehen und geporscht ist.
Ohne Erlaubnis des Rabbinats darf der Metzger kein Hinterviertel als koscher verkaufen.
Beim ersten Verstoß gegen die Bestimmungen wird ihnen der Verkauf von koscherem Fleisch für einen Monat verboten, im Wiederholungsfalle sogar gänzlich verboten.

Hier wird deutlich, dass wohl so manche laxe Handhabung eingerissen ist, diese aber unnachsichtlich bestraft werden soll, um die Koscher-Bestimmungen nicht außer Kraft zu setzen.
 
Auch der Unterricht in jüdischer Religion gehörte zu den Aufgaben eines Kantors. So unterrichtete Raphael Mandel an der jüdischen Grundschule in Ingenheim. Ab 1925 übernahm er dazu noch den Religionsunterricht an der höheren Schule in Bad Bergbauern, an der er bis 1932 tätig war und hier in den letzten Jahren noch zwei bis drei Schüler mit dem jüdischen Glauben vertraut machte. In Ingenheim unterrichtete er 1936 noch fünf Schüler, die zu diesem Zweck aus Heuchelheim und Klingen dazugesellt wurden.
 
1885 trat der qua Amt berufsmäßig ausgebildete und geschulte Sänger Raphael Mandel dem MGV Ingenheim als wertvolles aktives Mitglied bei. Nach 20 Jahren erfolgreichem Chorgesang wurde ihm für seine großen Verdienste 1908 die Ehrenmitgliedschaft im MGV verliehen. Die Krönung seiner sängerischen Laufbahn ist zweifellos seine Ernennung 1924 zum Ehrenvorsitzenden des MGV. In dieser Funktion hat er sich mit großem Engagement und Umsicht als Festpräsident hohe Verdienste erworben, als er im Juli 1925 dem großen Fest der "Fahnenweihe mit Gesangswettstreit" vorstand. (Die Anschaffung der neuen Fahne wurde durch eine großzügige Spende von Siegfried Mayer, einem in Chicago lebenden Ingenheimer Juden, ermöglicht.)
 
Raphael Mandel stand bei allen Ingenheimern, und weit darüber hinaus, in großem Ansehen. In der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. August 1908 kann man es nachlesen:
"Am Schabbes Dewarim (Schabbat mit der Thoralesung Dewarim - 5. Mose 1.1 -3.22 also am Samstag den 1. August 1908) waren es 25 Jahre, seit Herr Raphael hier als Chasan seine Stelle angetreten hat. Er wusste sich in dieser Zeit die Achtung und Liebe seiner hiesigen jüdischen und nicht minder auch der christlichen Mitbürger zu erwerben. Möge es dem Jubilar vergönnt sein, noch viele Jahre zum Segen unserer Gemeinde seines Amtes zu walten."
 
Am 13. Dezember 1927 wurden ihm vom Reichspräsidenten aus Anlass seiner 51-jährigen Dienstzeit als Kantor und israelitischer Religionslehrer Glückwünsche und besondere Anerkennung ausgesprochen.
 
Seinen 70. Geburtstag konnte Raphael Mandel am 2. September 1929 "in voller körperlicher und geistiger Frische" feiern. "Seit über 46 Jahren ist er in unserer Gemeinde zur allgemeinen Zufriedenheit tätig." Viele haben dem Jubilar damals gratuliert und ihre Glückwünsche übermittelt: der Vorstand und der Vorsitzende des Verbandes israelischer Kultusgemeinden der Pfalz, Kommerzienrat Joseph. "So hat ihm auch die "Freie Vereinigung der Lehrer und Kantoren der Pfalz" … ihre Gratulation übermitteln lassen. Auch der Männergesangverein Ingenheim, dessen Ehrenpräsident Herr Mandel ist, brachte ihm abends ein Ständchen. Fast die ganze Gemeinde, ohne Unterschied der Konfession nahm an dieser Feier teil."
 
Noch am 5. Mai 1936 wurden Raphael Mandel und seiner Frau Sophie im Rundschreiben Nr. 8 des Rabbinatsbezirks Landau/Pfalz Glückwünsche zur Goldenen Hochzeit übermittelt, die beide "in voller Rüstigkeit" feiern durften. "Dieser Tag war ein sichtbares Zeichen der Wertschätzung und Verehrung dieses jederzeit pflichtgetreuen Beamten innerhalb seiner Gemeinde. Möge er im wohlverdienten Ruhestande mit seiner Gattin noch viele Jahre ungetrübten Glücks bis zur diamantenen Hochzeit erleben."
 
Doch soweit sollte es nicht mehr kommen. Auf Grund der Repressionen, denen die Juden auch in Ingenheim ausgesetzt waren, übersiedelte das Ehepaar Mandel 1938 nach Karlsruhe und fand Unterschlupf im Haus ihres Schwiegersohnes Isak Oskar Kahn in der Gartenstraße 56.
Hier verstarb Sophie Mandel geb. Marx am 8. Januar 1939. Ein Jahr später endete am 29. Mai 1940 auch das Leben des hoch geehrten Sängers und engagierten und einstmals von allen geachteten Kantors Raphael Mandel im Alter von 80 Jahren. 

Verwandtschaft

Ehemann von: Mandel Sophie
Vater von: Mandel Corinna
Vater von: Mandel Ludwig
Vater von: Mandel Arthur
Vater von: Mandel Hedwig Luise
Sohn von: Mandel Caroline
Sohn von: Mandel Augustin

Haus

Bewohner/in: Hauptstraße 17 - Kantorenhaus