Ingenheimer Speisen

Aus jüdisch-einheimischer Küche frisch auf den Tisch
 
Um die jüdische Küche zu verstehen muss man die religiösen Vorschriften kennen, die ihr zugrunde liegen. Das 3. Buch Mose verzeichnet im 11. Kapitel einen "Positivkatalog" der erlaubten Fleischspeisen:
Erlaubt sind alle Vierfüßler, die gespaltene Klauen haben, Fische, die Flossen und Schuppen haben. An Stelle einer für Vögeln fehlenden Vorschrift erlaubt die Tradition Hühner, Gänse und Tauben.
Absolut verboten ist der Genuss von Blut!
Neben dieser Liste steht das Gebot der reinlichen Scheidung von "fleischigen" (bessari) und "milchigen" (chalawi) Speisen: "Fleischding" und "Milchding" dürfen weder in einer Speise noch in einer Mahlzeit miteinander vermischt werden, doch können manche Speisen bzw. Zutaten (z.B. Fische) sowohl als "Fleischding" als auch mit "Milchding" vereinigt werden. Solche Speisen sind "Minnichding" (Parve). Ein "Minnichding" kann aus Vegetabilien, Eiern, Obst, Nüssen, Wein und Pflanzenfett bestehen. Zwischen dem Genuss eines "Milchdings" und eines "Fleischdings" sollen vier Stunden vergehen. Eine Zwischenmahlzeit aus Obst, Milch, Wein oder Kaffee ist erlaubt, doch darf der Kaffee nicht mit Milch versetzt werden, wenn das vorangegangene Mahl "fleischig" war.
 
Die pfälzischen Juden haben - was sich ganz von selbst versteht - auch Gerichte gekocht, die von der Mehrheitsbevölkerung genossen wurden. Beliebt war die Grünkernsuppe - Juden aber verwandten statt Mehl ganze Kerne. 
Die Milzsuppe war vornehmlich eine Speise der Juden. Die Milz wurde fein geschabt, mit Zwiebeln und Petersilie gedämpft und mit Fleischbrühe aufgefüllt. 
Die Kartoffelsuppe wurde mit Rahm als Milchding zubereitet. Dazu aß man gerne Zwiebelkuchen, der nicht aus Mürbeteig, sondern aus einem mit Öl bereitetem Hefeteig gebacken war.
 
Beliebte Vorspeise für das Sedermahl, das festliche Mahl am Pessach-Abend, waren Kalbsbriesel und Hühnerfleisch, weich gekocht, enthäutet, mit Zwiebel, Petersilie, etwas Mehl und Pflanzenfett gedämpft, mit Fleischbrühe aufgefüllt, mit Eigelb abgezogen und mit Zitrone gewürzt.
 
An Pessach aß man als Vorspeise gerne "Pfefferfisch", vorwiegend Hecht, der in wenig Wasser mit den üblichen Würzkräutern, etwas Essig, Öl und Zucker gesotten war. Er wurde entweder heiß portioniert oder auch im ganzen mit eingedickter Kochbrühe übergossen, die zur "Sulz" gelierte. Aufgetischt wurde er kalt.
 
An Pessach wurden "Matze" dazu gereicht, ansonsten "Berches", das auch bei den Christen beliebte, zu einem Zopf geflochtene und mit Mohn bestreute Weißbrot.
Berches wird auch heute noch in Ingenheim bei Bäckerei Fanz Hirsch gebacken! Zum Weißbrotteig werden 10 % Pellkartoffeln dazugegeben und untergemengt, um das angebrochene Weißbrot vor dem raschen Austrochnen zu bewahren. (Heute verwenden die Bäcker allgemein Kartoffelmehl, um das gleiche Resultat zu erreichen!) Dann wird ein Zopf geflochten, der ¾ des Brotes in der Länge ausmacht und der wird unter Spannung über die ganze Länge aufgebracht (Genau an dieser Spannung reißt dann das Brot oben auf!) Danach wird das Brot in Mohn gewälzt und gebacken.
 
Karpfen bereitete man lieber süß-sauer ("polnisch") zu. 
An Feiertagen aßen die Ingenheimer gerne Rheinfische, die frittiert und mit "Haut un Hoor" verzehrt wurden.
 
Auch die Winnweilerer Juden aßen gerne Fisch. Sowohl Seefische, als auch Weißfische aus der Alsenz, warm und kalt serviert. "Gefüllter Fisch" kam weder hier noch in Ingenheim auf den Tisch.
 
Die Fleischspeisen verdienen vorzügliche Beachtung. Einen "gefüllten Magen“ schätzten die Ingenheimer ganz besonders. Sie füllten den Labmagen vom Rind mit Brötchen, Eiern, Mehl und "Migger" (Rindsnierenfett), kochten ihn weich und buken ihn schließlich braun. Weil so viele Mägen, wie in Ingenheim begehrt wurden, bei rituellen Schlachtungen nicht anfielen, wurden auch Teile des Pansens ("Kallehaub") zu einem Magen zusammengenäht. Wie hoch die Ingenheimer den gefüllten Magen schätzten, beleuchtet eine Anekdote von Anno dazumal: "Schimme" Siegel, der Ingenheimer Metzger, hat beim Schlachten eines Rindes den Magen sorgsam herausgelöst und zur Seite gelegt, doch leider nicht hoch genug. Ein Hund schnappt ihn und rennt davon. "Schimme" will ihm den Magen wieder abjagen, doch kurzsichtig wie er ist, verliert er den Hund aus den Augen. Enttäuscht ruft er ihm nach: "Spring norre, du wäschd doch net, wie mer`n filld!"
 
Auch die Milz wurde gefüllt: Man schlitzte das Organ seitlich auf, kratzte mit dem Löffel den Milzbrei heraus und beschickte die Kapsel dann mit einem Gemengsel von Brötchen und Milzbrei, gewürzt mit Majoran, Pfeffer und Salz.
 
Der Urenkel von "Schimme" weiß ein weiteres Gericht der elterlichen Küche hoch zu schätzen, den Rindsfuß: Ein enthaarter und entschuhter Rinderfuß wird mehrere Tage lang in gut gewürztem Wasser am Sieden gehalten; die gequollenen Weichteile werden dann abgelöst und mit der gesäuerten dicken Brühe zum Gelieren gebracht. Soll exzellent schmecken.
 
Zur Bereitung der Lungenwurst, die als besonders delikat galt, wird Rinds- und Kalbslunge (halb und halb) gemahlen, mit Eiern, Brötchen vermischt, mit gedämpften Zwiebeln, Petersilie, Muskat, Salz und reichlich Majoran gewürzt und in den Rindsdarm gefüllt, 20 Minuten lang gesotten und entweder mit Pellkartoffeln und Sauerkraut oder mit Kartoffelbällchen serviert. Von letzteren kennt unsere jüdische Küche zwei Arten der Zubereitung: saure und braune. Beidemal sind es in Scheiben geschnittene, gekochte Kartoffeln, welche einmal in saurer Rahmsauce, die mit Wein zubereitet ist, aufgekocht werden, das andere Mal in einer Sauce, die aus Fleischbrühe und gebräuntem Mehl besteht, mit Lorbeer, Essig, Salz und Wein abgeschmeckt und mit Pflanzenfett (Öl) geschmelzt ist.
 
Dass die Juden Geflügel, insbesondere Gänse, gerne auf den Tisch brachten, war den Christen wohlbekannt... Der "gefüllte Gänsehals" war ein Paradestück der jüdischen Küche. Dazu wurde die Haut des Gänsehalses sorgfältig zugenäht, und die Höhlung mit einer Masse, die aus kleingewürfelten Kartoffeln und vorgekochtem Rinderpökelfleisch, mit Majoran, Pfeffer, Zwiebeln und Salz gewürzt und mit etwas Fleischbrühe gemengt war, prall gefüllt. Man ließ ihn ca. 2 Stunden lang im Wasserbad "ziehen" und bräunte ihn schließlich in der Pfanne. Das erwähnte Pökelfleisch bereitete man für den Hausbedarf selbst. Dazu wurde ein gutes Stück Brustkern 14 Tage lang in einer Lake gebeizt, die nicht nur mit reichlich Salz, sondern auch mit Kandiszucker, Salpeter, Pfeffer- und Wacholderbeeren, Zwiebel und Knoblauch zubereitet war. Es wurde gerne mit Sauerkraut und Pellkartoffeln verspeist.
 
Kalbsbrust wurde mit Brötchen, Eiern und Gewürzen gefüllt und danach in Öl gebraten. Feinschmecker reichten dazu Bratkartoffeln und Schwarzwurzelgemüse, das mit Rosinen gekocht und mit Zitronensaft gewürzt war.
 
Gerne speiste man auch Linsen- und Bohnensuppe, die kräftig mit Knoblauch gewürzt war, dazu koschere Wurst, d.h. Wurst aus Rindfleisch, das nach ritueller Vorschrift geschächtet war. Die Stadtjuden hatten dieses Speisegesetz seit der Zeit des Ersten Weltkrieges zunehmend vernachlässigt. Schon um 1930 machte der Landauer Judenmetzger Levi keine koschere Wurst mehr, wohl weil sie zu selten verlangt wurde. Erhältlich war sie nur in der jüdischen Kolonialwarenhandlung Heller in der Gymnasiumstraße...  Man bezog sie auch von auswärtigen Metzgereien (Mainz, Straßburg, Emmendingen und Ingenheim).
 
Von den Gemüsegerichten verdient das "Pfefferkraut" erwähnt zu werden: ein mit Zwiebeln und Mehl gedämpftes Weißkraut, das vor dem Anrichten mit Pfeffer und Ingwer kräftig gewürzt wird. Ähnlich die grünen "Pfefferbohnen“.
 
Zum Fleisch wurde in manchen Häusern regelmäßig roher Meerrettich gegeben, dem geriebener Apfel mit Zitronensaft, Salz und eine Prise Zucker beigemischt wurden. In Winnweiler ließ man den roh geriebenen, mit etwas Zucker, Essig und Salz versetzten Meerrettich drei Tage lang in einem Töpfchen stehen, ehe man ihn servierte. "Schmeckt prima zu Rindfleisch"...
 
In Winnweiler aß man auch gern Schneebällchen, die aber nicht nur aus gekochten Kartoffeln und Mehl gemacht wurden, sondern zum guten Teil aus eingeweichten Brötchen, die mit Zwiebeln und Butter gedämpft wurden.
 
In jedem Haus wurde am Neujahrsfest Kohlsuppe gegessen, weil an diesem Tag in der Synagoge "kolmevaser" rezitiert wurde, was man als "Kohl mit Wasser" auslegte.
 
Eine einzige Sorte Wild gelangte in Landau ab und zu auf die jüdische Tafel: Wildenten, die im Entenfang erbeutet und geschächtet waren. Dies aber war doch wohl schon eine säkularisierte Umgehung der religiösen Speisegesetze.
 
Anders die bei allen jüdischen Gruppen beliebten Eintopfgerichte, die ihre Entstehung dem Gebot strenger Sabbatruhe verdanken.
 
Die "Kuchel", eine Art Auflauf, wurde im Backofen gebacken. Der "Schalet" in einem Eisenhafen auf dem Herd gegart. Eine Kuchel zuzubereiten gab es unterschiedliche Rezepte. Grundbestandteile waren Brötchen bzw. Matze und Eier. Gewürzt wurde mit Muskat und Salz. Sollte es ein "Schnitzkuchel“ werden, lösten sich Lagen jenes Gemisches mit eingeweichtem Dörrobst ab. Geschmelzt wurde sie mit Öl, Migger oder Netzfett. Letzteres wurde in rohem Zustand (Netz!) wie ein Tuch über die Masse gebreitet, es schmolz in der Ofenhitze und durchdrang die "Kuchel". Auch aus Kartoffeln verstand man eine Kuchel zu bereiten, doch war dieses ein Gericht für arme Leute in der Hinterpfalz. Die Juden in der Vorderpfalz kannten es nur (noch?) dem Namen nach. Die Eintopfgerichte eigneten sich vor allem als Mittagessen für den "Schawes", weil sie am Freitag hergestellt und entweder bis zum nächsten Mittag warmgehalten oder von der "Schawes-Goie" (christliche Zugehfrau) aufgewärmt werden konnten.
 
Die Winnweilerer Juden kannten wenigstens vier Arten von "Schalet": Von rohen und von gekochten Kartoffeln, von Nudeln und von Äpfeln. Schalet von rohen Kartoffeln wurde mit Grieben und Gänseschmalz bereitet, war also ein "Fleischding", von gekochten Kartoffeln mit Butter bereitet, war es ein "Milchding", ebenso Nudelschalet, ein süßer Auflauf, und Apfelschalet, ein mit Zimt gewürzter Apfelstrudel, der mit (dicker) Suppe auf den Tisch kam.
 
Zu "Weck-Schalet“ benötigte man in Ingenheim Brötchen, Rosinen, viele Eier, Zucker und Zimt. Einen ähnlichen Teig backte man löffelweise schwimmend in Fett und nannte es "Grimselich". Zum Pessachfest gab es in Ingenheim nicht den im Alemannischen üblichen Käsekuchen, sondern Apfel- oder Gelbrübentorte, deren Teig aus zerriebenen Matzen, Kartoffelmehl und Mandeln bestand.
 
Auch wurde zu diesem Fest ein Mandelgebäck ("Jond(e)fdick") hergestellt oder auch Plätzchen aus Matzen und Nüssen gebacken.
 
Zum “Schawuotfest" - die Ingenheimer nannten das Fest "Schewuos" - wurden Obstkuchen und "Kräplich" gebacken, beide nur mit Öl geschmelzt. Auch zu "Chanukka", das dem Weihnachtsfest der Christen entspricht, gab's in Ingenheim "Kräplich", nichts anderes als die bekannten Kartoffelpuffer. Am Purimtag aßen die Ingenheimer Juden die bereits erwähnten "Grimselich".
 
Mit diesen Kostproben aus der Küche der pfälzischen Juden muss es sein Bewenden haben, bis vielleicht ein handgeschriebenes Kochbuch auftaucht, das eine jüdische Hausfrau mit Rezepten gefüllt hat. Es wäre seltsam, wenn ihr der
Flammkuchen unbekannt gewesen wäre, den die elsässischen Juden gerne bei Sabbatanfang auf ihrem Tisch sahen, oder "gesetzti Supp", eine Gemüsesuppe mit Wurst und/oder Fleisch, im "Stobche" gekocht und warm gehalten.
 
Die Rezepte sind entnommen dem Buch: Hermann Arnold: Juden in der Pfalz, Vom Leben pfälzischer Juden - 1986 – ISBN 3-87629-111-9.
Die Abdruckgenehmigung wurde dankenswerter Weise vom Sohn des Autors Alfred Arnold erlaubt. Es ist ein Auszug aus Kapitel VII. Materielle Kultur Nr. 30. Nahrung und Kleidung (S. 165 - 170)