Die Anfänge bis zum 18. Jahrhundert

Zur Geschichte der Juden in der Pfalz
von Bernhard Kukatzki

Die Pfalz gehört zu den Regionen Deutschlands, die eine reiche jüdische Geschichte und Tradition aufweisen. Vermutlich siedelten sich ersten Juden bereits in spätrömischer Zeit an. Über Jahrhunderte waren jüdische Familien und jüdische Gemeinden fester Bestandteil des Alltags in Dörfern und Städten. Von einer einheitlichen jüdischen Geschichte der Region kann man bis zur Französischen Revolution nicht sprechen, da bis dahin die Pfalz in eine Unzahl von Herrschaften und Territorien aufgesplittert war, die ihren jeweiligen jüdischen Untertanen höchst unterschiedliche Rechts- und Lebensbedingungen boten. Diese reichten von Ausweisung und Aufenthaltsverbot bis zur wohlwollenden Förderung jüdischer Ansiedlungen durch die jeweiligen Herrscher.

Im Mittelalter ist die Existenz vieler jüdischer Gemeinden belegt, zu den bekanntesten zählen Landau und Kaiserslautern, Neustadt und Kusel, aber auch Lambsheim, Klingenmünster und Deidesheim. Eine mittelalterliche Ausnahmeerscheinung war ein jüdischer Burgherr. Im Jahre 1385 wurde der Speyerer Jude Kaufmann zusammen mit dem Mainzer Domherren Johann von Nassau vom Speyer Hochstift mit der im Elmsteiner Tal gelegenen Feste Spangenberg belehnt. Vielleicht spielte die Herkunft Kaufmanns aus Speyer eine Rolle? Denn seit dem Ende des 11. Jahrhunderts beherbergte Speyer eine ansehnliche und im ganzen Reichsgebiet berühmte jüdische Gemeinde.

Obwohl bereits in den siebziger Jahren des 11. Jahrhunderts die ersten, aus der berühmten Mainzer Familie der Kalonymiden stammenden Juden in Speyer nachweisbar sind, beginnt die eigentliche Geschichte im Jahre 1084, als die Juden aus Mainz und Worms vertrieben und vom Speyerer Stadtherren und Bischof Rüdiger Hutzmann aufgenommen wurden. Ihnen wurden Rechte eingeräumt, wie sie zu jener Zeit nirgendwo sonst jüdische Gemeinden besaßen. So wurde ihr Viertel zum Schutz mit einer Mauer umgeben, sie erhielten Handelsfreiheit, eine eigene Gerichtsbarkeit unter dem Rabbiner, das Recht Grundbesitz zu erwerben und einen eigenen Friedhof anzulegen. In dem Privileg von 1084 heißt es: "Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit. Ich, Rüdiger, mit Beinamen Huozmann, Bischof von Speyer, glaubte in meinem Bestreben, aus der Kleinstadt Speyer eine Weltstadt zu machen, die Ehre unseres Ortes durch Ansiedlung von Juden noch mehr zu heben." Und weiter liest man: "Alles in allem gewährte ich ihnen als höchste Gunst ein Gesetz, wie das Judenvolk kein besseres in einer Stadt des Deutschen Reiches besitzt". Dieses Privileg wurde von Kaiser Heinrich IV im Jahre 1090 bestätigt.

Unter diesen Voraussetzungen konnte sich Speyer zum geistigen und kulturellen Zentrum entwickeln. Zusammen mit Worms und Mainz entwickelte man einen eigenen Ritus. Die Beschlüsse der Synoden der drei SchUM-Städte (der Name wird aus den hebräischen Anfangsbuchstaben Speyer, Worms, Mainz gebildet) waren maßgebend für die deutschen Juden. In Speyer, wie auch in den anderen mittelalterlichen Gemeinden, kam es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zu fürchterlichen Verfolgungen und Vertreibungen. Von der Blütezeit des jüdischen Speyer künden noch die steinernen Überreste der mittelalterlichen Synagogen und des Ritualbades.

Durch die Vertreibungen wandelte sich das bis dato vorwiegend urban gebundene Judentum seit dem 16. Jahrhundert in ein weit bis in das 19. Jahrhundert dominierende Landjudentum. In der vor der Französischen Revolution in vierzig verschiedene Herrschaften aufgesplitterten Pfalz bildeten sich wegen der unterschiedlichen rechtlichen Stellung regionale Siedlungsschwerpunkte heraus. So lebten verhältnismäßig wenige Juden in den Gemeinden des Herzogtums Pfalz-Zweibrücke oder in der Kurpfalz und im Hochstift Speyer. Überproportional viele jüdische Familien siedelten dagegen in den leiningischen Territorien, dem Fürstentum Nassau-Weilburg und anderen gräflichen oder adligen Kleinterritorien. Besonders in den Adelsdörfern erreichte der jüdische Bevölkerungsanteil oft mehr als zehn bis 25 Prozent. Legt man statistische Übersichten vom Anfang des 19. Jahrhunderts, also wenige Jahre nach dem Ende des Feudalsystems in der Pfalz zugrunde, weisen zwei Dutzend pfälzische Gemeinden einen jüdischen Bevölkerungsanteil von mindestens zehn Prozent auf. Zu ihnen zählten u.a. Albersweiler, Böchingen, Carlsberg, Essingen, Grünstadt, Rülzheim, Steinbach am Glan und Teschenmoschel. Etwa ein Dutzend Gemeinden verzeichneten gar Bevölkerungsanteile von über fünfzehn Prozent. Dazu gehörten Dörfer wie Busenberg (19%), Gauersheim (26%) oder Ingenheim (29%). Dabei war es weniger religiöse Toleranz und aufgeklärter Reformwille als ein ausgeprägtes fiskalisches Interesse des Territorialherrn. Waren doch die pfälzischen Juden des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, von denen allein ein Siebtel eine wirtschaftlich eher kümmerliche Existenz am Rande oder außerhalb der Gesellschaft führten, wegen der von ihnen zu errichtenden Schutz- und Leibzollgelder als Einnahmequelle eine willkommene Bevölkerungsgruppe, um das häufig schmale Budget des jeweiligen Landesherrn aufzufüllen. Diese zusätzlichen Abgaben mussten erst mühsam erarbeitet werden. Durch die von den Christen erlassenen "Berufsverbote" wurden die Juden Jahrhunderte lang vom Ackerbau und den zünftigen Handwerken ausgeschlossen. Auch in der Pfalz hatte dies zur Folge, dass sich die jüdische Erwerbstätigkeit in den Handelsberufen konzentrierte. Besonders unter den Vieh-, Wein- und Tabakhändlern waren viele Juden zu finden. Ansonsten ist ein hoher Anteil von Kleinhändlern, Metzgern, Alt- und Gebrauchtwarenhändlern und Hausierern zu verzeichnen. Auch hier lebte die Übergroße Mehrheit in den bescheidensten Lebensverhältnissen.