Namensgebung und das Dekret Napoleons zur Namensumschreibung von 1808

Die männlichen Juden empfingen bei ihrer Beschneidung ihren "synagogalen" Namen, mit dem sie in der Synagoge zur Lesung der Thora aufgerufen wurden. Meist wurden die Namen der Thora oder dem Talmud entnommen, gerne den Urvätern entlehnt. Ab dem 13. Jhd. begann man, dem biblischen Namen noch einen zweiten "bürgerlichen" Namen beizugeben, der, aus der deutschen Sprache entnommen, im Alltag Verwendung fand, um damit im Verkehr mit Nichtjuden weniger aufzufallen. Oft handelte es sich um eine Übersetzung des biblischen Namens (z.B. Theodor für Nathan), oder der bürgerliche Name klang mehr oder minder an den biblischen an (z.B. wird aus Ascher Anselm). Andere bemühten sich, den Anfangsbuchstaben beizubehalten (z.B. Berthold für Baruch) oder man wählte willkürlich einzelne Buchstaben aus (z.B. Fritz für Perez). Geläufige Namen wie etwa David oder Moses galten in beiden Bereichen gleich.
 
Da die Frauen in der Synagoge nicht zur Lesung aufgerufen wurden, brauchten sie auch keinen "synagogalen" Namen.    (Ingenheimer Namen 1784)
Ihre Namensgebung erfolgte ohne öffentlich-rechtliche Zeremonie durch die Familie. So wurde ihr "Wiegenname" oftmals der jeweiligen Umgebung entlehnt, wie z.B. Blümel, Frumet (Frommheit), Güdel, Veilchen, usw.
 
Der Name der Jungen setzt sich zusammen aus seinem Vornamen und dem Namen seines Vaters (z.B. David Löw David). Bei den Mädchen wird dem Vornamen ebenfalls der Name des Vaters zugefügt (Mündge Löw David). Diese Namen konnten ergänzt werden durch Beinamen, die näher Auskunft gaben über die Herkunft der Familie (z.B. Isaak Hirsch Dreyfuß von Treves, dem Castra Treverorum - Trier), ihre Zugehörigkeit zu einem der 12 Stämme Israels (z.B. KaZ als Abkürzung für "Kohen Zedek", dem "Priester der Gerechtigkeit"), Hinweis gaben auf ihren Wohnbesitz (z.B. Rothschild - das Haus mit dem roten Erkennungsschild) oder ihren Beruf (z.B. Kaufmann).
 
Durch diese Namensgebung war eine genauere Unterscheidung der einzelnen Personen - besonders in den größeren Städten - kaum möglich, zumal Namenszusätze wieder abgelegt werden konnten oder sich veränderten. Um hier Klarheit zu schaffen erließ Napoleon am 30. Mai 1808 sein Dekret 3589, durch das die Juden neben ihrem Vornamen zur Annahme fester Familiennamen verpflichtet wurden.
 
So erschienen am 26. Oktober 1808 alle Familienväter Ingenheims in Straßburg, um sich dort mit ihren neuen Namen in das "Registre des déclaration pour les noms juifs" (Namensumschreiberegister) eintragen zu lassen. Dabei haben Frauen oft ihre Vornamen geändert und dafür moderne Namen gewählt, die aber oft ihrem alten Namen ähnlich klangen: aus Rösche wurde Therese, aus Schönle Johannetta, aus Sisel Susanna, aus Sörge Sara, aus Besel Elisabeth, aus Riffla Rebekka, aus Zaerle Carolina, aus Jüdle Esther, aus Böhle Belle. Aus Malken Joseph Jakob wurde Maria Anna Weil, aus Bräunle Wolf - Sara Roos, aus Gütel Baruch - Judith Weil, aus Besel Loeb - Sara Marx und Lazarus Golde wurde zu Esther Blum.
 
Bei den Männern wurden Marx zu Marc, Mordge zu Moses, Anschel zu Levi, Jekuff zu Jakob. Aus Hertzel Dotterle wurde Isaak Marx, Sohnel Nathan mutierte zu Samuel Deutsch, Moyses Liebmann  zu Moses Haas, Levi Koschel zu Leonhard Moritz.
 
An einem Beispiel aus Ingenheim sei das Durcheinander aufgezeigt, welches eine Identifizierung einzelner Personen sehr erschwert:
Salomon Dreyfuß heiratet 1798 Aaron Böhlen. Beim 1. Kind Leon heißt die Mutter Esther Reimann. Beim 2. Kind Isaak Esther Reinau (Reimann war wohl ein Hörfehler des Schreibers). Beim 3. Kind Johann wird vermerkt: Esther Reinau, früher Belle Aaron. Beim 4. Kind Moses heißt sie wieder Ester Reinau und beim 5. Bernhard Esther Aron. Die Mutter hat sich also von Aaron in Reinau umbenannt und den typisch jüdischen Vornamen Böhlen in das im französischen ähnlich klingende Belle umgewandelt. Hat sie sich dann später ihrer jüdischen Wurzeln besonnen und den endgültigen Vornamen Esther angenommen?
 
Die Namensumschreibung brauchte nicht mit Gewalt umgesetzt zu werden, vielmehr ist mit dem Dekret ein Endpunkt gesetzt worden, da viele jüdische Mitbürger sich schon vor dem Dekret aus Gründen der allmählichen Assimilation freiwillig einen Zunamen beigelegt hatten.