Bildhauer auf dem Ingenheimer jüdischen Friedhof

Die jüdischen Grabsteine auf dem Friedhof in Ingenheim sind das sichtbare Zeichen jüdischer Verwurzelung in diesem Ort. Zugleich sind sie die ältesten, sichtbaren und zugänglichen Zeugnisse eines regen jüdischen Lebens.
Nach Beendigung des Trauerjahres wird am Kopfende des Begrabenen ein Grabstein gesetzt. Da das Hebräische nicht die Umgangssprache der Juden war, sondern hier entweder Jiddisch oder die Landessprache gesprochen wurde, wurden die hebräischen Texte von einem Rabbiner oder dem am Ort zuständigen Lehrer entworfen. Diese Texte wurden dann von christlichen Steinmetzen auf dem Gedenkstein umgesetzt. Da Steinmetze in Zünften organisiert waren, Zünfte aber für Juden verschlossen blieben, blieb es nicht aus, dass besonders im ländlichen Raum eben nur Christen in diesem Beruf tätig waren.
 
Das konnte, da die Christen der hebräischen Sprache nicht mächtig waren, zu fatalen Irrtümern bei der Übertragung führen. Die Steinmetze, die ja eine für sie unverständliche Vorlage nur kopierten, verwechselten oft ähnlich aussehende Buchstaben, was zu großen Fehlern führte. Manchmal sind ausgelassene Buchstaben klein über der Zeile nachgetragen und bei Platzmangel hat der Steinmetz Buchstaben auf den Rand des Grabsteins eingeschlagen. Manchmal wurden auch die in der Vorlage stehenden Trenner – ein Punkt oder ein Häkchen – zwischen den einzelnen Worten versehentlich übernommen. Einmal hat ein Steinmetz die Inschrift von links nach rechts eingeschlagen. Da er für das erste Wort des hebräischen Textes keinen Platz mehr hatte, setzte er es an den "Anfang" der zweiten Zeile – nicht ahnend, dass das Hebräische von rechts nach links geschrieben wird. So setzte sich das in den kommenden sieben Zeilen fort, das Chaos war damit perfekt.
 
Steinmetze hatten (so später beschrieben) sicher ihre Musterkataloge. Auch hatten sie Steine schon zur Beschriftung vorbereitet. So konnte es zum Problem mit den darauf bereits befindlichen Symbolen werden: Ein Kreuz für "gestoben" hat auf einem jüdischen Grabstein keinen Platz (ausgenommen ist das Eiserne Kreuz als Zeichen für einen jüdischen gefallenen Soldaten). Auf dem Ingenheimer Friedhof finden wir auch ein Grab mit den Symbolen A und Ω. Das sagt Jesus von sich in der Offenbarung des Johannes 21, 7: "Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende".
 
Erst nach der Aufhebung des Zunftzwanges konnten Juden Steinmetze werden. Ihre Steinmetzbetriebe finden sich erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Existieren konnte man von diesem Beruf allenfalls in den großen Städten mit ihren großen jüdischen Gemeinden.
(Übernommen aus Natanja Hüttenmeister: Der Friedhof als Quelle… Ein Vortrag)
 
Es ist auffällig, dass zwischen den übrigen Landfriedhöfen und dem Ingenheimer jüdischen Friedhof ein deutlicher Unterschied zu Tage tritt, was die Güte und den Reichtum der hiesigen Grabmale anbelangt. Dieser Niveauunterschied ist laut Hermann Arnold (Grabmalkunst auf christliche und jüdischen Friedhöfen der Südpfalz, Verlag Pfälzer Kunst Landau 1992) darin begründet, dass die im Austausch mit Landau stehende dörfliche Judengemeinde Ingenheim von diesem Einfluss deutlich profitiert hat. Auch haben bedeutende Bildhauer aus der Bergzaberner Würschmitt-Schule (Friedrich und Carl Sanwald und deren Schüler) ihre markanten Spuren hinterlassen.
 
Begründer der Bergzaberner Bildhauerschule war der katholische Geistliche Dr. Bernhard Gottfried Joseph Würschmitt. Er wurde als eines von sechszehn Kinder der Eheleute Ivo Franz Xaver Würschmitt, Kurfürstlich Mainzischer Hofgerichts- und Regierungsrat und dessen Ehefrau Susanna Theresia Fritz 1788 in Mainz geboren.
Bei der französischen Eroberung von Mainz 1792 flüchtete die Familie nach Erfurt. Dort wuchs der Junge auf und besuchte das katholische Gymnasium. Er studierte in Erfurt und Aschaffenburg, die Priesterweihe erfolgte am 25. Juni 1816 in Würzburg durch Weihbischof Gregor von Zirkel. Er amtierte als Kaplan in Aschaffenburg, Gailbach, Haibach, Röllbach und Miltenberg, promovierte in Philosophie; 1821 wurde Würschmitt Pfarrer zu Breuberg im Odenwald, 1825 Pfarrer in Steinfeld.
 
Durch Vermittlung seines Bruders Bruno Adolf, der dem Speyrer Domkapitel angehörte, kam er 1826 in die Pfalz. Er wirkte zwei Jahre in Lambrecht (früher Grevenhausen), ab dem 29. November 1828 als Stadtpfarrer in Grünstadt und danach1832 in Schwanheim. Seine leidenschaftliche Hinwendung zur Bildenden Kunst – auch als Maler hat er Gutes geleistet – entfremdete ihn seinen Amtspflichten, so dass er schließlich am 9. April 1836 zwangsweise pensioniert (quiesziert) wurde. Er nahm 1836 seinen Wohnsitz in Bergzabern, wo er 1853 verstarb. Wo er begraben liegt ist nicht bekannt.
 
Die Grabsteine von Würschmitt waren qualitätsvolle Arbeiten mit hervorragender Ornamentik und beherrscht von einer intensiven Symbolik. Die fein abgewogene Maßwirkung verbunden mit einem ausgeprägten Sinn für Formen und Proportionen zeigen sein großes handwerkliches Geschick. Viele dieser herausragenden Arbeiten sind heute noch zu bewundern. Seinem Bruder, Professor Bruno Würschmitt, Domkapitular in Speyer, Naturkundler und Mitbegründer der Pfälzer Pollichia fertigte er einen außergewöhnlichen Grabstein mit Tier- und Pflanzendarstellungen, auf dem Speyerer Domkapitelfriedhof. Für den Friedhof in Hagenbach schuf er eine imposante Kreuzigungsgruppe, auf das von ihm gefertigten Friedhofskreuz in Erlenbach setzte er 1838 die autobiographische Inschrift: "Haec Icon divi Christi salvatoris miseri manu sacerdotis sculpta" (= "Dieses Bild Christi, des göttlichen Erlösers, ist durch die Hand eines unglücklichen Priesters ausgemeißelt worden").
 
In seiner Zeit als Pfarrer von Grünstadt empfing Würschmitt am 14. Juni 1829 in der kath. Pfarrkirche König Ludwig I. und feierte mit ihm einen Fest-Gottesdienst. Er war bekannt als Wohltäter der Armen, hatte aber wegen seiner oft aufbrausenden Art permanent Schwierigkeiten mit seinen Pfarrkindern.
 
Im Juni 1849 wurde Bernhard Würschmitt von pfälzischen Freischärlern gefangengenommen und misshandelt. 1851 prägte er als Zeuge vor dem Spezialgericht, hinsichtlich der einstigen Revolutionäre, das in die pfälzische Geschichtsschreibung eingegangene Wort: "Die da rot waren wie Ochsenblut, sind heute blau (für den König) wie die Kornblume, die auf dem Felde blüht."
 
Der von König Ludwig II. hochgeschätzte Münchner Künstler Konrad Knoll stammte aus Bad Bergzabern und war ein Schüler Bernhard Würschmitts, ebenso wie der Mannheimer Bildhauer Wilhelm Hornberger, der in Meißenheim/Baden das Grabmal für Goethes Geliebte Friederike Brion schuf. Nicht zuletzt war auch Würschmitts Schüler Friedrich Sanwald aus Bad Bergzabern stark von ihm beeinflusst.
 
Friedrich Sanwald (1835- 1909) lebte und arbeitete in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Sein Großvater Georg Michael Friedrich Sanwald einst in Württemberg beheimatet, heiratete zu Beginn des 19. Jahrhunderts Friederike Schuhmann geb. Lorch aus Bergzabern. Ihr Sohn Alexander Friedrich (1807-1876) war wohl der erste Steinbildhauer der Familie. Er wohnte in der Kurtalstraße in Bergzabern. Von seinen Kindern erlernten vier den väterlichen Beruf. Während August nach Kaiserslautern heiratete und Peter in Wien ein gutgehendes Bildhauergeschäft eröffnete, blieben Friedrich und sein jüngerer Bruder Karl in der Heimatstadt. Fritz 1835 in Bad Bergzabern geboren, wurde schon in jungen Jahren von seinem Vater an die Bildhauerei herangeführt und erlernte bei ihm die grundlegenden Fähigkeiten des Steinmetzberufs. 1850 trat er in die Werkstatt Würschmitts ein und verfeinerte bei ihm die Kunst der Bildhauerei. Nach seiner Lehre bei Würschmitt, ging Friedrich für acht Jahre zu Auslandsaufenthalten nach Frankfurt/M., Paris und nach St. Petersburg, wo er an der St. Isaaks-Kathedrale mitarbeitete und Beschäftigung fand. Danach kehrte er zurück in die Heimat und gründete in Bergzabern seine Familie mit Katharina Müller, die aus der Martelsmühle in Bergzabern stammte und zusammen mit Bruder Karl sein Bildhauergeschäft.
 
Aus dem noch vorhandenen Einnahmebuch Friedrich Sanwalds lässt sich ein großer Kundenkreis ablesen, der sich über Bergzabern, Offenbach, Rülzheim, Speyer und Ludwigshafen, den Westrich bis nach Dahn, Pirmasens und Zweibrücken auch ins Elsass über Weißenburg hinaus bis nach Straßburg erstreckte. Für einen Rabbiner in Paris fertigte er 1863 einen Kinderstein und für die Bergzaberner Judenschule einen Opferstock. Überhaupt zählten viele Juden zu seinen Kunden. Im Einnahmebuch sind über vierzig Grabsteine verzeichnet für verstorbene Juden, die in Ingenheim bzw. auch Busenberg beerdigt wurden. Beim Gang über den Friedhof Ingenheim kann man seine zahlreichen Epitaphen daran erkennen, dass sie sie sich auszeichnen durch harmonische Maße und originelle Ornamente, die das handwerkliche Mittelmaß weit übertreffen. Auffallend sind die zahlreichen Kindersteine, bedingt durch die große Kindersterblichkeit. Bis einschließlich 1875 wurden die Arbeiten nach Gulden abgerechnet. Ab 1876 scheinen die Preise oder auch die Ansprüche gestiegen zu sein. Nach 1833 finden sich nur noch vereinzelt Beträge unter 100 Mark pro Auftrag.
 
Drei Söhne Friedrich Sanwalds traten in die Fußstapfen ihres Vaters: Friedrich II., dessen Sohn Fritz als Bildhauer in Holz arbeitete und ein Opfer des Krieges wurde, Ludwig und Karl, dessen Sohn Robert das letzte Sanwaldhaus übernahm. So bestand das Geschäft noch bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts fort, bevor Willi Sanwald 1986 den Schlussstrich ziehen musste.
 
Ein Schüler Carl Sanwalds, Philipp Jacob Behret, der 1871 in Bergzabern geboren wurde, heiratete die Tochter des Nußdorfer Steinmetzen Bodem und gründete 1897 in Landau mit seinem Schwiegervater zusammen die florierende Firma Behret & Bodem, die Grabsteine in großer Zahl produzierte. Daneben gab es durchaus Arbeiten, die kunsthandwerklich gut gefertigt wurden. Besonders nachdem 1918 Sohn Ludwig Behret nach akademischer Bildung in die Firma eingetreten war. Doch auch dessen gute plastische Arbeiten (später Jugendstil) konnten den Verfall der Friedhofskunst nicht aufhalten. Wer nicht wirtschaftlich unter die Räder kommen wollte, musste sich den Trends anschließen. Der wirtschaftliche Aufschwung, verbunden mit dem Geltungsdrang zu einer jedenfalls im Tod noch auffälligen Darstellung, führte dazu, dass die Bildhauerei oftmals mit oberflächlichen Nachahmungen der Antike und des Fremdartigen aufwarten musste. Heraus kamen Es waren sogenannte Fabriksteine, für die die Firma den Vertrieb übernahm. Es hat sich ein Katalog der Firma: „Stein- und Gipsindustrie“ aus den 1920er Jahren erhalten, den Behret seinen Kunden vorlegte. Dass Behret und Bodem damit Erfolg hatten belegen die vielen Firmenschilder an ihren Grabmalen auf dem jüdischen Friedhof Ingenheim.
 
Honeck Landau. Laut Kassenbuch hat Sanwald 1867 dem Landauer Bildhauer Honeck einen Stein geliefert. Honeck stammt aus Ixheim und wurde 1870 in Landau eingebürgert. Sein Sohn, 1849 in Neustadt/Haardt geboren, ebenfalls Bildhauer, leistete 1870 in Landau den Bürgereid. Auf den jüdischen Friedhof Ingenheim findet sich an einigen Grabsteinen das Signet. "Honeck, Landau".
 
Über die weiteren Firmen, deren Arbeiten auf den jüdischen Friedhof Ingenheim zu finden sind wie:
Kern & Kolb, Bouquet und J. C. Korwan aus Mannheim (ein Grabstein in Form eines Obelisken), liegen zurzeit keine Informationen vor.
 
Lit: Hermann Arnold: Die Bergzaberner Bildhauerschule, in "Grabmale der Biedermeierzeit auf pfälzischen Friedhöfen", Herausgeber: Historischer Verein der Pfalz, Bezirksgruppe Bad Bergzabern 1989.
Hermann Arnold: Grabmalkunst auf christlichen und jüdischen Friedhöfen der Südpfalz, Verlag Pfälzer Kunst Landau 1992.
Wikipedia.
Natanja Hüttenmeister: Vortrag: "Der Friedhof als Quelle…"
Südpfalzkurier Bad Bergzabern: E. Kamm: "Ein Stück Familiengeschichte".
Über Bernhard Würschmitt publizierte Dr. Otto Abel, Landau, 1938, das Buch "Dr. Bernhard Gottfried Josef Würschmitt, katholischer Pfarrer, ein Bildhauer in der Pfalz". Es umfasst eine Bestandsaufnahme aller damals noch vorhandenen Künstlerarbeiten des Priesters.