Jüdische Bevölkerung seit 1853

Zur Geschichte der Juden in der Pfalz
von Bernhard Kukatzki

In der Mitte des 19. Jahrhunderts, im Jahre 1853, erreichte der jüdische Bevölkerungsanteil in der Pfalz seinen höchsten Stand. Mit 15.636 Personen waren zu dieser Zeit fast drei Prozent der Pfälzer jüdischen Glaubens. Die Mitte des vorletzten Jahrhunderts war aber auch der Beginn eines bedeutenden Strukturwandels innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. Noch stärker als die Christen trafen die Wirtschaftskrisen jener Zeit die jüdische Bevölkerung auf dem Lande. Jene Krisen dürften das Hauptmotiv der Massenwanderung der pfälzischen Juden gewesen sein. Neben der Auswanderung in die USA ist in der Binnenwanderung auch ein verstärkter Zuzug in die städtischen Zentren festzustellen, die den meisten ein besseres wirtschaftliches Auskommen bot. Diese Tendenz hatte zur Folge, dass die jüdischen Kultusgemeinden auf dem Lande immer kleiner und häufig sogar aufgelöst wurden, die jüdischen Gemeinden in den Städten aber rapide anwuchsen. Die Stadt Ludwigshafen, innerhalb deren Grenzen im Jahre 1871 lediglich 181 Juden wohnten, brachte die Verstädterungstendenzen innerhalb der Pfälzer Juden einen Zuwachs auf 1.400 Gemeindemitgliedern im Jahre 1931. Sie war auch die einzige Stadt in der es eine nennenswerte Zahl sogenannter "Ostjuden" gab. Auch die rechtsrheinischen Städte Karlsruhe und Mannheim profitierten in großem Maße vom Zuzug pfälzischer Juden.
In der "Gründerzeit", der Wirtschaftsblüte des neuerstandenen Kaiserreiches, sind in den städtischen Zentren der Pfalz auch Juden wohlhabend geworden. Es gab jetzt auch jüdische Fabrikanten wie Felsenthal & Co. (Tabakverarbeitung) in Kaiserslautern, die Bernhard Roos A.G. (Schuhe) in Speyer oder die von Salomon Stern aufgebaute Zündholzfabrik in Albersweiler. Isidor Trifus, ursprünglich Brot- und Mazzebäcker aus Steinbach am Glan, wurde 1888 Begründer der westpfälzischen Diamantschleifer-Industrie.

Eine vom Verband der israelitischen Kultusgemeinden der Pfalz im Jahre 1937 herausgegebene Veröffentlichung charakterisierte den Anteil der Juden im pfälzischen Wirtschaftsleben und ging auch auf die Auswirkungen der nationalsozialistischen Diskriminierungen ein: "Darnach ist zu sagen, dass sich die pfälzischen Juden überwiegend im Handel betätigen. Kennzeichnend ist für sie der Groß- und Kleinhandel mit Wein, Tabak und Leder, der Handel mit Vieh und Landesprodukten und ihre industrielle Tätigkeit in der Leder- und Tabakverarbeitung. Die pfälzischen Juden haben in der Weinbranche eine für die Entwicklung des pfälzischen Weinhandels bedeutsame und mit erschließende Funktion ausgeübt. Ihr Anteil überwog bei weitem den nichtjüdischen Anteil. Heute (1937, Anm. d. Verf.) ist ihr Anteil jedoch auf einen kleinen Prozentsatz zusammengeschrumpft. Ihr früherer Anteil an der Tabakbranche in der Pfalz wird von Fachleuten auf 50-75 % geschätzt. Während die Funktion des Tabakmaklers in der Pfalz früher fast nur von Juden ausgeübt wurde, sind sie heute (1937, Anm. d. Verf.) aus dieser Funktion fast ganz ausgeschieden. Im Tabakhandel war ihr Anteil früher etwa 50 %. Er ist heute (1937, Anm. d. Verf.) auf wenige Prozent zurückgegangen. Lediglich als Tabakverarbeiter konnten die als solche tätigen pfälzischen Juden ihre Position, die ungefähr 50 % der pfälzischen Tabakverarbeitung umfasste, bis jetzt (1937, Anm. d. Verf.) behaupten. Im pfälzischen Lederhandel wird ihr gegenüber dem früheren noch nicht wesentlich veränderter Anteil auf etwa 50 % geschätzt. Der pfälzische Viehhandel lag zu über 90 % in jüdischen Händen. In dieser Branche ist der jüdische Anteil in den letzten Jahren auf einen verschwindenden Bruchteil zurückgegangen. Die freien Berufe (z.B. Ärzte und Rechtsanwälte, Anm. d. Verf.) haben infolge der Hauptverteilung der Juden auf Kleinstadt und Dorf von jeher eine verhältnismäßig kleine Rolle gespielt."