Verzeichnis

 

Siegel Friedrich Emanuel

Beruf(e): Fahrzeugunternehmer, Automechaniker, Verwaltungsdirektor, Kaufmann
Spitzname: Fritz, auch genannt Mulle
Geburtsdatum: 05.07.1908
Geburtsort: Ingenheim
Sterbedatum (Todestag): 10.06.1978
Sterbeort: Landau / Pfalz
Begräbnisort: Jüdischer Friedhof Ingenheim

Fritz Siegel, genannt "Mulle", der den Holocaust überlebte und später eine segensreiche versöhnende Wirksamkeit entfalten konnte, war Spross einer Metzgersfamilie, deren Urahn um 1800 von Göcklingen nach Ingenheim einheiratete. Der Spitzname für Siegel war 'Mulle', von Mulling, Geburtsname der Großmutter
  
Abraham Siegel, geboren am 23. Juli 1810 in Göcklingen, Sohn des Metzgers Moses Siegel und seiner Ehefrau Regine Israel, heiratete am 28. März 1841 die Ingenheimerin Barbara Marx (geb. 27. August 1818, gest. 17. April 1884) und führte so die bereits bestehende koschere Metzgerei Lazarus Marx in der Rohrgasse, Ecke Hauptstraße (damals in der Hausnummer 241) unter seinem Namen weiter.
 
Abraham und Barbara Siegel gaben ihren Berufstand weiter an die beiden Söhne Theodor Siegel (geb. 15. April 1846, gest. 14. Juli 1881) und Moses Siegel (geb. 15. April 1842).
 
Moses heiratete am 29. April 1869 Justina Mayer, gebürtig aus Ingenheim. Nach der Todgeburt ihrer Zwillinge 1869 und dem frühen Tod der Tochter Rosalia (geb. 5. September 1871) im Alter von nur 5 Wochen, kamen die Söhne Leo Siegel (geb. 23. Februar 1874) und Emil Siegel (geb. 14. Februar 1878) zur Welt.
Emil, den es nach Speyer zog und der dort am 24. Juli 1911 Sophia Mayer ehelichte, fiel im 1. Weltkrieg schon am 2. November 1914 an der Front in Frankreich bei Senones. Seine Frau Sophia wurde 1943 in Auschwitz ermordet.
 
Theodor heiratete am 10. August 1872 die Billigheimerin Bertha Blum (geb. 9. Februar 1851, gest. 15. März 1909). Ihnen wurden zwei Kinder geboren: Rosalia (geb. 29. Oktober 1873) und Emil Siegel (geb. 6. September 1875). Theodor leitete zusammen mit seinem Bruder und Handelsmann Moses das von allen Ingenheimern gern aufgesuchte koschere Metzgereifachgeschäft (jetzt Hauptstraße 37).
  
Emil heiratete am 20. Dezember 1904 in Herxheim die dort ansässige Karolina (Lina) Mayer (geb. 3. August 1880, gest. am 23. Februar 1942 in Gurs). Lina war das ein und alles der Familie!
 
Dieser Verbindung entstammten die Brüder Karl-Theodor (geb. 20. August 1900), den es später nach Mannheim verschlug, wo er die Ehe einging und den 8 Jahre jüngeren Fritz Siegel (geb. 5. Juli 1908)
 
Fritz besuchte in Landau die Real- und Handelsschule. Nach absolvierter Ausbildung ließ er sich in Landau als Ingenieur (Betriebsleiter) nieder.
 
Als sein Vater Emil am 10. Januar 1933 den Freitod gewählt hatte und sein Bruder Karl nach Mannheim abgewandert war, musste Fritz selbst die Leitung der väterlichen Metzgerei übernehmen.
 
Als SPD-ler und Mitglied im Reichsbanner zum Schutz der Republik, kam er ins Fadenkreuz der NSDAP, die ihn vom 5. Dezember 1936 bis 10. Mai 1937 in diversern Gefängnissen in Schutzhaft nahm, weil er eine Rundfunkrede Görings kritisch kommentierte mit den Worten "das sei doch der alte Käse" und darum nach dem Heimtückegesetz verurteilt wurde. Weitere Gefängnisaufenthalte schlossen sich an: Polizeihaft in Landau und zwei Monate Schutzhaft im Lager Dachau (28. April 1938 bis 23. September 1938). Von dort wurde er im KZ Buchenwald für weitere vier Monate (vom 24. September 1938 bis 23. Januer 1939) in Schutzhaft gehalten. Von Buchenwald aus gab er sein Aufgebot auf, um seine Verlobte Fräulein Liesel Levy, wohnhaft in Landau, ehelichen zu können. Diese "Beantragung des Aufgebotes" wurde am 12. Oktober 1938 bestätigt durch den SS-Standartenführer Koch. Und so konnte am 25. Februar 1939 mit Fritz und Elisabeth Bertha Siegel die letzte jüdische Hochzeit in Ingenheim vollzogen werden.
 
Doch das Glück sollte nicht lange wären. Kaum war Tochter Chana auf der Welt, wurden beide im Zuge der Judenverfolgung am 22. Oktober 1940 in ihrer Wohnung in der Adolf-Hitler-Straße 16 verhaftet und in Frankreich ins Lager Gurs eingewiesen, wo sie bis zu ihrer Überstellung nach dem Camp des Milles 1941 inhaftiert waren. (Fritz war in Gurs bereits seit dem 20. Juni 1940 inhaftiert). Von dort kam sie zur Entbindung ihres Sohnes Peter (Pierre) vom 2. bis 10. Juni 1942 ins Entbindungsheim nach Marseille.
Von hier ging es zu viert vom 23. November 1942 bis 30. Mai 1944 ins Centre d'accueil de REILLANNE (Basses-Alpes), was aber bei der späteren Haftentschädigung für Fritz Siegel als Überlebenden nicht anerkannt wurde, da dieses Lager nicht als Zwangsinternierungslager bekannt sei (!). Danach erfolgte über das Sammellager Drancy die Deportation der ganzen Familie am 30. Mai 1944, mit dem Transport Nr. 75, ins Vernichtungslager Auschwitz. Dort wurden Mutter und die beiden Kinder am 3. Juni 1944 in den Gaskammern ermordet, während Fritz Siegel, bei der Selektion zur Arbeit fähig befunden, Auschwitz überlebt hat.
 
Vor der drohenden Einnahme des Vernichtungslagers durch die 322. Division der Russen wurde um den 20. Januar 1945 etwa 60.000 Häftlinge evakuiert und in mörderischen Todesmärschen nach Westen getrieben. Mit ihnen kam auch Fritz Siegel am 27. Januar 1945 im KZ Mauthausen in Schutzhaft bis zum 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung.
 
Es ist kennzeichnend für die große Menschlichkeit Fritz Siegels, dass er nach der Befreiung nach Landau zurückkehrte und dort auch wieder politisch tätig wurde. Ihn, der so viel hat durchmachen müssen, beseelte nur ein Gedanke, den überlebenden Juden zu helfen und den nicht-jüdischen Mitbürgern zu zeigen, dass man ohne Hass und Vorurteile leben könne.
 
Bereits im Juli 1945 gründete er die Kultusgemeinde in Landau wieder neu und erreichte mit Hilfe der Stadtverwaltung, dass ein Betsaal gebaut wurde, indem die nach Landau zurückgekehrten Juden und die jüdischen Angehörigen der französischen Besatzungsmacht ihre Gottesdienste abhalten konnten. Ehrenamtlich fungierte er dabei als Schammes (Synagogendiener), Chasan (Vorbeter) und Chewra Kadischa (Sozialnetzwerk und Beerdigungsbruderschaft).
 
Sein politisches Engagement führte ihn in den Stadtrat, dem er von 1946 bis 1952 angehörte. Nachdem die Kultusgemeinde der Rheinpfalz ihren Sitz nach Neustadt an der Weinstraße verlegt hatte, übertrug man Fritz Siegel dort neben seinem Amt als erster Vorsitzender der Gemeinde auch deren Geschäftsführung.
 
Er setzte sich ein für die Instandsetzung der verwüsteten jüdischen Friedhöfe, regte den Bau eines Betsaals in Neustadt und die Errichtung von Gedenkstätten an vielen Orten der Pfalz an, er kümmerte sich um die Betreuung von Jugendlichen und wirkte in der Zentralwohlfahrtsstelle mit, die beim Aufbau der jüdischen Gemeinden half und mit Sozialarbeitern besonders den Jugendlichen beistand. So versuchte Fritz Siegel jüdisches Leben zu fördern.
 
Ein besonderes Anliegen war ihm der Wiederaufbau des 1938 in Neustadt zerstörten jüdischen Altersheims. Mit großem Engagement konnte das neue Heim 1959 fertiggestellt werden und ermöglichte unter seiner Leitung vielen alten Menschen eine neue Heimat und einen ruhigen Lebensabend. Sein Wahlspruch lautete: "Lieber einen Menschen zu viel betreuen, als einen Bedürftigen vergessen".

Im Jahr 1947 heiratete Fritz Siegel seine zweite Frau Gertrud Willerich in Landau. Sie stammte aus einer Gärtnerfamilie und war selbst in diesem Beruf tätig. Gemeinsam durften sie 38 Ehejahre miteinander erleben. Sie war Fritz eine große Hilfe und so konnten sie zusammen den Weg der Versöhnung gestalten.
 
Fritz Siegel besuchte oft seinen Heimatort Ingenheim. Hier setzte er sich besonders für die Wiederaufrichtung der umgeworfenen Grabsteine und die Pflege des Friedhofs ein. In der Rohrgasse hielt er regen Kontakt mit der Familie Beiner. Der Christ Jakob Beiner - einst Chauffeur von Dr. Jeremias - schenkte Fritz Siegel die von ihm gemalte Synagoge von Ingenheim. Seine Tochter und deren Mann konnte er dafür gewinnen, in den Jahren 1958 bis 1985 sich um den jüdischen Friedhof zu kümmern.
 
Fritz Siegel verstarb am 10. Juni 1978 und ist bei seinem Vater Emil auf dem jüdischen Friedhof in Ingenheim beigesetzt. Das Grab 4 06 10 befindet sich im Feld 4, Reihe 6, Stein 10. Auf dem Grabst wird weiterhin auch erinnernd gedacht: Der Mutter Karoline geb. Mayer, verstorben in Gurs und seiner Ehefrau Elisabeth und den beiden Kindern Chana und Pierre, die in Auschwitz ermordet wurden.
Dass man 2011 in Landau eine Straße im Wohnpark "Am Ebenberg" nach Fritz benannte, konnte er nicht mehr miterleben.
 
Das Haus von Familie Siegel wurde von der Familie Pfalzgraf übernommen, abgerissen und an seiner Stelle ein Erweiterungsbau der Landmaschinenfirma Pfalzgraf errichtet. Heute befindet sich in den neu gestalteten Räumen ein Dönerladen.

Verwandtschaft

Ehemann von: Siegel Elisabeth Berta
Sohn von: Siegel Emil
Sohn von: Siegel Karolina
Vater von: Siegel Pierre
Vater von: Siegel Chana
Bruder von: Siegel Karl Theodor
Enkel von: Siegel Bertha
Enkel von: Siegel Theodor

Grab

4 06 10