Die Franzosenzeit

Zur Geschichte der Juden in der Pfalz
von Bernhard Kukatzki

Ein bedeutender Einschnitt in der Geschichte und der Entwicklung des pfälzischen Judentums bildete die "Franzosenzeit". Als 1791 die Pariser Nationalversammlung die sofortige und uneingeschränkte Befreiung der Juden aus allen feudalstaatlichen Fesseln und Beschränkungen beschloss und sie damit zu den Christen gleichgestellten Staatsbürgern machte, sollte dies einige Jahre später mit der Besetzung und dem darauf folgenden Anschluss der linksrheinischen Gebiete an Frankreich auch ab 1797 den "Israeliten", deren es im Departement Donnersberg sehr viele gebe, wie ein hoher Verwaltungsbeamter der Mainzer Präfektur damals urteilte, die "Emanzipation" bescheren. Vom Jahrhunderte lang nur als "Schutzjuden" Geduldeten war man als Pfälzer nunmehr zu einem gleichberechtigten Staatsbürger geworden.

Nicht nur den pfälzischen Juden wurde in napoleonischer Zeit durch das berüchtigte "décret infâme" des Jahres 1808 ein guter Teil ihrer bürgerlichen Freiheit wieder erdrückend eingeschränkt. Seit 1816 gehörte die Pfalz zum Königreich Bayern. Dessen Regierung hob dieses Dekret nicht auf sondern verschärfte es teilweise noch. Dennoch verfügten die pfälzischen Juden immer noch über größere Freiheiten als ihre Glaubensbrüder im rechtsrheinischen Bayern. Es bedurfte jahrzehntelanger Eingaben und Kämpfe, bis 1851 sämtliche Ausnahmebestimmungen im bürgerlichen Recht für Juden in allen bayerischen Landesteilen aufgehoben wurden. Wenn es Mitte des 19. Jahrhunderts auch noch Einschränkungen im passiven Wahlrecht gab, für die kommunale Ebene galt das nicht. In Ingenheim, das zeitweise einen jüdischen Bevölkerungsanteil von gut einem Drittel aufwies, stellte man von 1869-1884 mit Bernhard Roos den Bürgermeister. Volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung trat erst 1871 durch Reichsgesetz ein. Dass mit der rechtlichen Gleichstellung nicht auch automatisch eine gesellschaftliche Gleichberechtigung eintreten würde, hatte 1857 schon H.W. Riehl, der Begründer der deutschen Volks- und Landeskunde erkannt: "Wenn der gemeine Mann hier theoretisch auch noch so tolerant gegen die Juden ist, so hält er sich doch - wie überall in Deutschland - im stillen für etwas viel besseres als den vornehmsten Hebräer; die Zeugnisse alter Judenverachtung in Volkssprache und gemeinen Redebildern sind noch in vollem Glanz lebendig." Zu den Beispielen für diese Art von Missachtung dürfte auch der Osterbrauch "Jud verbrennen" in Rodalben zählen, bei der man eine Strohpuppe verbrannte und der bis 1945 ausgeübt wurde. Dass in etwa der gleichen Zeit, im Jahre 1856 der Schriftsteller August Becker die Situation im schon oben erwähnte Ingenheim mit: "Die Juden geben dem Ort erst seine rechte Bedeutung, Handel und Wandel und einzelne haben sich großstädtische Häuser im Dorf gebaut...Hier sind die Juden im Besitz aller bürgerlichen Rechte, indem sie sowohl in der Ortsschulkommision als im Gemeinderat sitzen und hat man noch nicht gehört, dass dies der Gemeinde irgendwie geschadet hätte" schildert, macht die Aussage von Riehl deshalb nicht unglaubhafter.

Eine wichtige Veränderung brachte ein weiteres napoleonisches Dekret des Jahres 1808 - das Dekret über die Annahme fester Familiennamen. Bis dahin war es unter den Juden üblich dem eigenen Rufnamen lediglich den Rufnamen des Vaters hinzuzufügen. In der Verordnung hieß es daher: "Diejenigen Juden unseres Reiches, die den hebräischen Gottesdienst befolgen und die bisher keine fixen Geschlechts- und Vornamen hatten, sollen verpflichtet sein, solche binnen drei Monaten nach Publikation unsers gegenwärtigen Decrets anzunehmen und sie vor dem Beamten des Zivilstands der Gemeinde, wo sie ansässig, zu erklären." So wurden die traditionellen jiddischen Vornamen abgelegt und aus einer Baisgen Herz in Alsenz eine Elisabeth Gottschau, aus einem Eisic Isaak in Schifferstadt ein Isaak Landmann, in Billigheim aus einer Moyses Gola eine Katharina Rindsfuss, aus einem Nathan Seckle ein Isack Becker und aus einem Elias Emanuel ein Peter Schwarz. Neben auch in anderen Gegenden Deutschlands häufig vorkommenden angenommen jüdischen Familiennamen wie Weil, Levi, Löb, Adler, Strauß oder Stern sind Namen festzustellen, deren Träger fast ausschließlich in der Pfalz zu finden sind. Zu diesen typischen jüdisch-pfälzischen Familiennamen gehören Bohrmann, Dellheim, Emsheimer, Felsenthal, Dornberger, Kern oder Kohlmann.