Verzeichnis

 

Obergasse 2

Adresse von 1842: Oberdorf 121
Adresse von 1932: Obergasse 131

Plannummer 19
In der Obergasse 2, an der Kreuzung Bergzabernerstraße (früher Ochsengasse) und Obergasse (früher Oberdorf) gelegen, steht das Haus einer bedeutenden Fruchthändlerfamilie: das "Deutsche Haus", genannt nach den Fruchthändlern Benedikt, seinem Sohn Abraham genannt Albert und wiederum dessen Sohn Benedikt Deutsch.
 
Ursprünglich hatte der Handelsmann Eduard Roos (Sohn des Bürgermeisters Bernhard Roos) zusammen mit seiner Ehefrau Rosina Auscher das alte Haus schenkungsweise von der Großmutter Ester Adler erhalten. 1841 ließen sie es jedoch abreißen und an seiner Stelle den heute noch existierenden repräsentativen Neubau errichten.
 
Bald in den Besitz der Familie Benedikt Deutsch übergegangen, erlebte es eine reiche Blütezeit einer wohlsituierten Händlerfamilie.
 
Neben dem großzügigen Wohnhaus besaß die Firma noch zwei große Lagerräume. Einmal direkt nebenan in der Ochsengasse und zum anderen in der Obergasse 8. Unter der dort befindlichen Fruchtscheune befanden sich die Pferdestelle, ein Platz zum Säubern der Pferde und die Futterstelle. Die Kutschen wurden zum Beladen rückwärts in den Fruchtspeicher eingefahren und die Säcke mittels Winde abgelassen. Die Fruchtscheune war mit großen Sandsteinplatten ausgelegt. Eine Treppe führte hoch zur mittleren Etage, wo sich das Fruchtlager befand. Eine weitere Treppe führte dann hinauf zum Trockenboden.
 
Es muss sich um ein stark florierendes Mehlhandels- und Fruchtgeschäft gehandelt haben. Es war immerhin telefonisch erreichbar unter der Nummer 3! Darüber hinaus berichtet der Ackersmann Heinrich Kummler, dass er über Winter, in der landwirtschaftlich reduzierten Zeit, für die Großhandlung Deutsch zu den Bäckern mit seinem Gespann morgens früh Mehl ausgefahren hat. Auf dem Rückweg hat er bei den Bauern Getreide aufgekauft und nach Ingenheim ins Magazin in der Obergasse gebracht. In zwei Wintern hatte er so viel dabei verdient, dass er sich zwei Pferde davon kaufen konnte.(Es konnte dabei passieren, dass er vor lauter Müdigkeit auf dem Kutschbock eingeschlafen war, dann haben ihn - dank des geringen Verkehrsaufkommen in der damaligen Zeit, die Pferde selbständig nach Ingenheim zurück kutschiert.)

Auch Johannes Disque aus Mühlhofen war ein Mehl-Fahrer bei den Deutsch. Mit seinem Pferdegespann ist er bis zu den Deutsch-Höfen gekommen, was für die damaligen Verhältnisse schon recht weit und mühsam war. Dazu mussten auch noch die Zweizentner-Säcke auf die Mehlspeicher geschleppt werden.  Doch das gute Arbeitsverhältnis mit seinem Chef ließ ihn die schwere Arbeit gern ertragen. 
 
Konnte der Fruchthändler Benedikt Deutsch (geb. 30. Januar 1818 in Ingenheim) hier am 01. Dezember 1893 sein Leben beenden, so erlitt sein Sohn Abraham, genannt Albert, Deutsch (geb. 16. Februar 1864) das gleiche Schicksal wie viele seiner Zeitgenossen: er starb am 01. Dezember 1940 in Gurs.
Sein Sohn Benedikt konnte zusammen mit seiner Frau Margarete, geb. Zivi, 1939 noch rechtzeitig in die USA auswandern. Eine wichtige Epoche wirtschaftlichen Lebens in Ingenheim war damit erloschen.
 
Kurz nach Ausreise der Familie Deutsch fand der HJ-Führer Ingenheims das prächtige Haus für geeignet, dem Umstand abzuhelfen, dass die HJ kein eigenes Heim ihr eigen nennen konnte. Dank der guten Verbindung zum Ortsbürgermeister (dessen Sohn er war), gewährte ihm dieser, das Deutsche Haus in ein HJ-Heim umzufunktionieren (laut Protokoll einer entsprechenden Anhörung in Neustadt). Mit Hilfe von Mobiliar aus leer stehenden jüdischen Häusern (wie etwa einem Klavier, diversen Möbeln, einer Schreibmaschine u.a.m.) konnte das Haus dem neuen Zweck angepasst werden.